Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.03.2019 – 6 C 2/18
Eine in Potsdam tätige Zahnärztin erhielt von der Brandenburgischen Landesbeauftragten für den Datenschutz die Anordnung, die betriebene Videoüberwachung in der Praxis umgehend einzustellen. Die Eingangstür der Praxis ist während der Öffnungszeiten nicht verschlossen; der Empfangstresen ist grundsätzlich nicht besetzt. Oberhalb des Tresens befindet sich eine Digitalkamera, welche laufende Bilder in Echtzeit herstellt. Die Bilder können auf Monitoren im Behandlungszimmer (sog. Kamera- Monitor- System) angesehen werden. Sie werden nicht gespeichert. Überwacht wurde der Bereich, in dem sich Besucher nach dem ungehinderten Betreten der Praxis aufhalten. Ein Schild an der Außenseite der Eingangstür und auch am Tresen wies auf die Videoüberwachung hin.
Die zuständige Landesbeauftragte für den Datenschutz erließ nach einer Anhörung u.a. die Anordnung, dass während der faktischen Besuchszeiten der Praxis in den Behandlungszimmern vorhandene Videokameras auszuschalten sind (Nr. 1) und die Kamera beim Anmeldetresen lediglich auf den Mitarbeiterbereich hinter dem Tresen auszurichten und so abzudecken ist, dass ersichtlich ist, dass der öffentlich zugängliche Bereich nicht überwacht wird (Nr. 2). Weitere Anordnungen betrafen den Umgang mit Hinweisschildern (Nr. 3, 4). Gegen den abschlägigen Widerspruchsbescheid erhob die Zahnärztin Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam.
Ebenso wie auch die Vorinstanzen erteilte das Bundesverwaltungsgericht der Klage der Zahnärztin eine Abfuhr. Maßgeblich war hier die Unvereinbarkeit der Videoüberwachung mit dem § 6b Abs. 1 Satz 1 des Bundesdatenschutzgesetzes in der alten Fassung, da es nach Auffassung der Richter auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides ankommt. Eine Überwachung ist danach erlaubt, wenn – verkürzt formuliert – sie erforderlich ist und eine Abwägung ein Überwiegen der Interessen des Berechtigten gegenüber den Interessen des Betroffenen, von der Beobachtung wegen ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts verschont zu werden, ergibt. Es ist dabei Sache des Berechtigten, darzulegen, aus welchen Gründen er eine Videoüberwachung für notwendig hält.
Die Bundesrichter sahen hier keine Erforderlichkeit für die von der Zahnärztin betriebene Videoüberwachung. Insbesondere die Zwecke der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten können eine Videoüberwachung nur dann als objektiv begründbar rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben; subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus.
Der Umstand, dass in der Praxis Betäubungsmittel und Wertsachen wie etwa Zahngold aufbewahrt werden, ist für sich genommen nicht geeignet, eine besondere Gefährdung in Bezug auf Diebstähle während der Öffnungszeiten zu begründen. Auch das Bestreben, mittels Videoüberwachung Personalkosten einzusparen, konnte das BVerwG nicht überzeugen.
Dieses Urteil entspricht auch in Bezug auf die zwischenzeitlich erlassene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der geltenden Rechtslage. Rechtsgrundlage für die Aufsichtsbehörde wäre insoweit Art. 58 Abs. 2 d) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 u), Abs. 1 f) DSGVO.
Kontext der Entscheidung
Entscheidungen aus dem Bereich des Datenschutzrechts stoßen spätestens seit dem Erlass der DSGVO auf breites Interesse in der Öffentlichkeit. Fragen der Videoüberwachung gehören insoweit allerdings zu den „alten“ Themen des Datenschutzrechts, die gegenüber modernen Fragestellungen – etwa zum Datenschutz im Internet und bei Nutzung von Social Media – n Bedeutung verloren haben. Gleichwohl handelt es sich bei der Videoüberwachung um eine besonders verbreitete Form der alltäglichen Datenverarbeitung, die auch viele Privatpersonen betreiben.
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