Geburtsschaden – Grober Behandlungsfehler einer Hebamme

Medizinrecht

OLG Rostock, Urt. v. 05.11.2021 – 5 U 119/13

Das Oberlandesgericht Rostock hat in seinem Urteil vom 05.11.2021 dem durch die Geburt schwer geschädigten Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 € zugesprochen.

Der Fall:

Die Mutter des Klägers befand sich in der 40. Schwangerschaftswoche und wurde aufgrund des Verdachts eines Blasensprungs mit Flüssigkeitsabgang im Krankenhaus vorstellig. Bereits zuvor wurde die beklagte Hebamme über diese Vorgänge informiert. Jedoch hatte es die Hebamme unterlassen, zusätzlich zu dem Anlegen des CTG die ihr mitgeteilte Blutung schnellstmöglich zu kontrollieren und daraufhin die diensthabende Ärztin hinzuziehen.

Die Entscheidung:

Diese unterlassene Pflicht war auch der zentrale Streitpunkt in dieser Entscheidung. Mittels verschiedener Sachverständigengutachten eines Arztes sowie einer Hebamme sollte dargelegt werden, ab wann die zwingende Ergreifung medizinischer Maßnahmen geboten ist und ob die tatsächliche Vorgehensweise der Hebamme diesem Maßstab entspricht. Zunächst stellte die Sachverständige keine Auffälligkeiten in Bezug auf eine fehlerhaften Vorgehensweise der behandelnden Hebamme fest. In einem ergänzenden Gutachten ging sie hingegen von einer verspäteten Vorlagenkontrolle und somit einer verspäteten Information der diensthabenden Gynäkologin aus. Das OLG beruft sich bei der Annahme eines solchen Behandlungsfehlers auf die medizinisch-wissenschaftlichen Empfehlungen in der Geburtshilfe. Demnach ist bei Blutungen unter der Geburt unverzüglich ein fachlich spezialisierter Arzt hinzuziehen. Eine Nichtreaktion auf die gebotene Befunderhebung begründet demzufolge einen groben Behandlungsfehler.

Bemerkenswert erscheint zudem auch die Bemessung eines angemessenen Schmerzensgeldes durch das Berufungsgericht. Zunächst stellt das OLG Rostock fest, dass dieses keinen betragsmäßigen Beschränkungen in der Höhe unterliegt. Schließlich sollen die in Schmerzensgeldtabellen erfassten Vergleichsfälle nur die tendenzielle Einordnung des zugrundeliegenden Falles erleichtern. Anschließend stellt das Gericht ausführlich die tatsächlich erlittenen Schädigungen des Klägers dar und nimmt einen Vergleich zu ähnlich gelagerten Fällen vor, um möglichst konkret das Schmerzensgeld zu bemessen.

Dies hat weitreichende Konsequenzen für Hebammen allgemein. Zweifelsohne befinden sich alle an einer Geburtssituation beteiligten Personen in einer psychisch anspruchsvollen Lage. In dieser kommt es auf bloße Feinheiten bezüglich des weiteren Vorgehens an. Ob dieses Urteil als Anstoß dazu dienen soll, den Pflichtenkreis einer Hebamme auf die Befragung der Kindeseltern bezüglich einer vorherigen Blutung auszuweiten, um nicht dem Vorwurf eines möglichen Behandlungsfehlers ausgesetzt zu sein, bleibt indes unklar.

Andy Branig

Wissenschaftlicher Mitarbeiter